entzug-kolumne-heidi-list-salon-mama

Urlaub mit der guten, alten Freundin, zusammen mit unseren Kindern, also meinen Buben und ihren Mädels. Das versprach Gaudium und ein Bollwerk der herrlichen ewigen Bande, die wieder geknüpft werden, durch die Erlebnisse und die viele Zeit miteinander, bei uns und bei den Kindern. Dachte man sich buchte. Die Anfahrt war lustig und problemlos, weil getrennt. Dann wurden die Zimmer in dem Bauernhof beäugt und aufgeteilt, man trat großzügig zurück und nahm das Zimmer ohne Aussicht, dafür mit Kuhgeruch.

Meine Buben packten ihre kleinen Rucksäcke aus und begannen die Reste von dem Überraschungsei, dem Gummizeug, sowie dem Mannerschnittengatsch, also der Ausbeute von den ganzen Pausen an den Raststationen, zu mampfen. Mit vollen Backen schlenderten sie in den Gemeinschaftsraum und checkten, ob man dort an der Glotze auch über Adapter den PC anschließen kann. Wegen Youtube und so.

Da fiel mir eine gewisse Dünnlippigkeit im Gesicht meiner Freundin auf. Und die geweiteten Augen ihrer Kinder. „Wir müssen reden“, sagte sie und verliess’ den Raum. Ich folgte, gebückt. Und bekam zu hören: ihre Kinder dürfen keine Süssigkeiten haben, nie, niemals, nicht einmal Nachspeisen, auch keine warmen Mehlspeisen, nichts, nada. Zucker ist der Tod. Des weiteren sind die Bildschirmaktivitäten bei ihren Töchtern auf Kino einmal im Monat beschränkt, aber nur bei Prädikat wertvoll. Während ich versuchte, das Gelächter nicht schallend werden zu lassen, suchte ich verzweifelt ihre Augen nach Ironie ab. Immerhin war sie die Freundin aus den Jugendtagen, die mich mit 13 zu den Poppern aus dem Kaff geschleppt hat, um denen beim Wundbenzin sniffen zuzusehen. Mit der ich viele Vormittage im Keller ihrer Eltern verbracht habe, in den wir an unliebsamen Schultagen vom Garten aus seelenruhig eingebrochen sind, um stundenlang MTV zu schauen. Wo war die Person hin? Weg war die. Sie meinte das ernst. Mich fröstelte. Wie genau sollte ich Urlaub machen mit zwei Kindern auf Zucker- und Screenturkey? Ich war tot.

Die ersten zwei Stunden waren grauenhaft. Meine Kinder bekamen von mir zu hören, dass die anderen nichts dürfen und sie solidarisch sein müssten. Sie suchten ihrerseits vergeblich meine Augen nach Ironie ab und verfielen sodann in eine Art jammerndes Gejohle, es erinnerte leicht an die Trauerweiber bei Begräbnissen auf dem Balkan. Danach versuchten sie mich mit Versprechungen zu bestechen, dann zu bedrohen und zum Schluss lagen zwei gebrochene junge Menschen auf ihren karierten Decken und besprachen den Sinn ihres Daseins. Also generell und das in dem Kuhkaff.

Alle gingen recht früh schlafen, wir Erwachsenen vorrangig, um das heikle Thema nicht anrühren zu müssen. Am nächsten Tag, nach dem cerealien- und nutellabrotfreien Frühstück waren wir schon bei Öffnung der Seilbahn an der Station, um den Tag zu beginnen, möglichst weit weg von Orten mit Süssigkeiten oder Bildschirm. Bei der Jause stürzten sich die Kinder auf die Bananen, ihre Lippen zuzelten an jedem Millimeter, der Fruchtzucker hergab. Wir wanderten uns mehrere Wölfe, um die Kinder dann völlig erledigt in ihre Betten schicken zu können. Und gingen auch schlafen, sicher war sicher, nur keine Wellen.

Die Tage gingen so dahin, aber langsam, ganz langsam entspannte sich die Lage. Die Kinder bekamen rote Backen und siehe da, sie begannen sich in ihrer unendlichen Langeweile für Dinge wie Blumen pflücken, Kränze binden und auf Bäume kraxeln zu interessieren. Es wurde Karten gespielt und Backgammon. Nach 6 Tagen, also an dem Abend vor der Heimreise, öffneten meine Freundin und ich zum ersten Mal eine Flasche Wein. Die Differenzen mussten ja doch weg, der stumme Vorwurf, daß ich meine Kinder verzuckere und bildschirmverblöde und sie mir im Gegenzug viel zu soldatisch an die Thematik heranging, stand ja immer noch im Raum. „Naja,“ lallte sie nach dem 3. Viertel. „Manchmal kriegen sie schon eine Schoki, aber nur wenn sie mich mit einer erwischen.“ „Aha,“ lallte ich zurück, „und wann war das zum Beispiel.“ „Also hier jeden Abend,“ lallte sie zurück. „Hihi. Ist in dem Urlaub ein Ritual geworden.“ „Und dir, Kuh, habe ich das schönere Zimmer gelassen. Lug! Betrug!“ rief ich und torkelte, wutentbrannt und so geradlinig es ging, in mein Zimmer.

Oh, ich war böse. Nicht nur, dass meine Kinder um ihren Junk betrogen wurden, auch ich habe mich an die Prohibition gehalten und ich wollte doch so gerne einfach nur wieder einmal fernsehen, irgendwas, Werbung, egal. Und am nächsten Tag fuhren wir heim. Meine Kinder fielen ihrem Vater in die Arme, mit den Worten, dass sie so einen coolen Urlaub gehabt hätten, sie hätten so viel Tolles erlebt wie noch nie. Oh, dachte ich mir. Mir dämmerte, vermutlich, weil ihre Gehirne einmal nicht verklebt waren und sie ihre Zeit mit Realität füllen mussten.

Und dann rief meine Freundin an. Wir gingen was trinken. Sie erlaube ihren Kindern jetzt am Wochenende Fernsehen. Und Schokolade, manchmal, zur Feier des Tages. Und wir fahren nächstes Jahr wieder in den, nennen wir ihn „Betty Ford“ – Entzugs - Urlaub. Mit genehmigten Ausrutschern in die verbotene Welt. Aber diesmal bekomme ich das Zimmer mit Aussicht.
Wir verwenden Cookies, um Inhalte zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf unsere Website zu analysieren.